„Familie ist auch ein Väterthema“

Beim Stichwort Vereinbarkeit wird häufig zuerst an die Mütter gedacht. Teilzeit, Elternzeit oder Job-Tandems sind hingegen bei Vätern nicht standardmäßig auf der Agenda. Dabei würden fast 60% der arbeitenden Väter wegen fehlender Vereinbarkeit von Familie und Beruf ihren Job wechseln. Was können Unternehmen tun, um ihren Angestellten mehr Vereinbarkeit zu ermöglichen? Für Volker Baisch – Gründer der Unternehmensberatung conpadres – sind Netzwerke die Antwort. 

Herr Baisch, wie wichtig ist die Vereinbarkeit von Vatersein und Beruf für Unternehmen? 

Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft will jedes zweite Unternehmen Väter und deren Bedürfnisse mehr in den Fokus rücken. Unternehmen haben verstanden, dass es nicht ohne die Väter geht, zumal, wenn wir die Frauen und Mütter im Job halten wollen. Eine Person allein kann die schwierige Kita-Situation nicht ausgleichen, wenn sie zugleich berufstätig sein will. Es geht nur zusammen und deshalb sollten Unternehmen auch die Väter fördern. Allerdings gibt es immer noch eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das tatsächliche Commitment ist teilweise gering, obwohl sich die Unternehmen für väterfreundlich halten.  

Woran liegt das? 

Einerseits wird Väterfreundlichkeit unterschiedlich definiert. Andererseits gibt es zu wenig Kommunikation innerhalb des Unternehmens, ein echter Austausch über die Bedürfnisse von Vätern fehlt. Unternehmen vergessen, dass es für viele Männer wegen Vorbehalten oder Angst vor Repressionen schwieriger ist als für Frauen, Teilzeit oder eine längere Elternzeit zu beanspruchen. Daher die niedrigeren Teilzeitquoten bei Männern als bei Frauen und die klassische Zweimonatselternzeit. Trotzdem: Die Unternehmen sind aufgewacht, denn immerhin fast 60% aller Väter denken über einen Jobwechsel nach. 

Wie können Unternehmen Väter unterstützen? 

Väter brauchen Ermutigung. Das Top-Management sollte eine klare Haltung einnehmen und bei der Elternzeit nicht zwischen Mann und Frau unterscheiden. Man muss die Väter fragen: Was braucht ihr, wie können wir euch unterstützen? Netzwerkarbeit wie die unsrige ist hilfreich, weil in unserer Community viele Väter organisiert sind, die Antworten und hilfreiche Tipps geben können. Auch braucht es regelmäßig Veranstaltungen, nicht nur einen einmaligen Vortrag zum Vater- oder Diversitytag. Schließlich sollten Unternehmen den Fokus insgesamt gezielter auf die Väter richten. Dafür müssen sie reflektieren, was schon gut läuft und was noch nicht. Was fehlt, damit Väter für ihre Bedürfnisse und Wünsche einstehen?  

Sie plädieren für Väternetzwerke. Was ist mit den Müttern? 

Es gibt viele Frauennetzwerke, aber die sind meist konnotiert mit dem Thema Führung. Das ist zwar sehr wichtig, aber adressiert nicht jene Mütter, die einfach nur Elternzeit nehmen und danach in Teilzeit in ihren Job zurückkehren möchten und erst später sich beruflich verwirklichen wollen. 

Unternehmen wissen oft nicht, was Frauen eigentlich brauchen, wie wir in einer großen Umfrage festgestellt haben. Deswegen gründen wir seit diesem Jahr auch Mütternetzwerke in den Unternehmen. Denn Mütter wollen gefragt und wahrgenommen werden als jemand mit Lust auf Karriere und Weiterentwicklung, wenngleich vielleicht nicht direkt nach der Elternzeit Die Bedürfnisse sind sehr individuell, und viele Mütter haben mit Vorurteilen oder Diskriminierung zu kämpfen. Auf der anderen Seite stoßen auch Väter, die in Teilzeit oder länger in Elternzeit gehen möchten, immer noch auf Ressentiments. Arbeitgeber müssen beide, Väter und Mütter, fokussieren. Familie ist nicht mehr nur ein Mütterthema, es ist auch ein Väterthema. Dafür braucht es Netzwerke, die eine Kultur der Transparenz, Gesprächsbereitschaft und konkreten Maßnahmen entwickeln. 

Wie genau sieht die Arbeit von conpadres aus? 

Oft werden Unternehmen über conpadres-Mitglieder auf uns aufmerksam, denn wir werden oft weiterempfohlen. Angesichts der häufig fehlenden Gesprächskultur in Unternehmen starten wir gern mit einer Veranstaltung oder einem Vortrag für das Management und die Zielgruppe der Väter. Dort spreche ich über den konkreten Mehrwert, den Väter im Bereich Vereinbarkeit haben und auch den Nutzen für das Unternehmen. Im Anschluss kommen wir ins Gespräch und erfragen virtuell die Wünsche der Väter und des Unternehmens. Die Ergebnisse schauen wir uns gemeinsam an: Wie viele sind in Eltern- oder Teilzeit, wie ist die Führungskultur ausgerichtet? Mit einem kleinen Vorabfragebogen und Interviews eruieren wir, was hinter den Zahlen steckt. Danach laden wir 12 bis 14 Väter und Mütter zu einem vertiefenden Workshop ein. Mit ihnen besprechen wir, was es braucht, damit auch Väter (40% der Väter in Deutschland wünschen sich eine reduzierte Arbeitszeit von 33 Stunden) in Teilzeit oder in eine längere Elternzeit gehen können. In diesem Workshop entwickeln wir erste Ideen, woraus bereits ein Empowerment und auch das Interesse nach Netzwerken und gegenseitigem Austausch erwachsen. Wir dokumentieren die Ideen, geben Empfehlungen ab und machen ein kleines Benchmarking, damit das Unternehmen sieht, wo es im Verhältnis zu anderen Firmen steht. Erst danach entscheiden sich die interessierten Unternehmen, ob sie Mitglied im großen conpadres-Netzwerk werden möchten. Uns ist wichtig, dass der Vorstand ganz hinter unserer Herangehensweise steht, denn ohne ihn werden wir keine Kultur verändern. 

Hat sich das Unternehmen für die Mitgliedschaft entschieden, stellen wir eine Steuerungsgruppe von Vätern zusammen, die wir strategisch begleiten, um klare Ziele zu setzen, Aufgaben zu verteilen und ein Leitbild zu entwickeln. So bauen wir gemeinsam mit der Steuerungsgruppe Schritt für Schritt eine Väter-Community auf. Daneben bieten wir auch zahlreiche Workshops an, Morning Coffees, Open Talks – also allerlei Formate, in denen Väter aus Unternehmen zusammenkommen, lernen und diskutieren. Die Steuerungsgruppe bespricht ihre Umsetzungsideen (z. B. verlängerter Kündigungsschutz auch für Väter in der Elternzeit oder „Role Model“-Kampagnen oder Sensibilisierung der Führungskräfte) mit der HR-Abteilung. Im Rahmen einer Strategiegruppe, die solche Ideen umsetzt, diskutieren die Sponsor:innen, HR, Betriebsräte und Vertreter der Steuerungsgruppe, wie die eigene Unternehmenskultur weiterentwickelt werden kann. conpadres bietet dafür Schulungen und Veranstaltungen an. Jedes Jahr entscheiden sich die Unternehmen neu, ob sie die Mitgliedschaft verlängern möchte. 

Porträtfoto des conpadres-Gründers Volker Baisch

Im Gespräch mit Volker Baisch (Foto: Väter gGmbH)

Evaluieren Sie Ihre Arbeit? 

Ja, einmal im Jahr zusammen mit unseren Ansprechpartner:innen im Unternehmen und mit den Vätern. So erfahren wir, welche Maßnahmen funktionieren oder welche nicht, wie die Zufriedenheit ist, welche Auswirkungen es auf die Kultur und Gespräche mit den Vorgesetzten gibt. 

Benefits sind ein weiteres wichtiges Thema: Diese sind oft sehr traditionell und orientieren sich immer noch zu wenig an den veränderten Bedürfnissen der Väter und Mütter.  Stichwort „Kita-strophe“. Was nützt es Unternehmen, wenn sie die Kommunen für die Kinderbetreuung verantwortlich machen, wenn Väter und Mütter wegen der Kinder nicht arbeiten können? Es braucht neue Benefits, neue Ideen, neue Ansätze - und die entstehen in unserer Netzwerkarbeit. 

Was nützt Unternehmen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf? 

Die Vorteile werden in zahlreichen Studien deutlich. Zudem geht es manchmal nur über den Schmerz: Wir haben einen hohen Fachkräftemangel und inzwischen in einigen Branchen einen Arbeitnehmer:innenmarkt. Junge Leute können, wenn Unternehmen ihnen nicht entgegenkommen, zur Konkurrenz gehen. Jeder zweite Vater hat in Deutschland bereits über einen Arbeitgeberwechsel auf Grund von fehlenden Vereinbarkeitsmaßnahmen nachgedacht oder es schon getan. Das Thema Fachkräftemangel oder -sicherung ist fester Bestandteil der gesellschaftlichen und auch unternehmensinternen Diskussion. Man muss aktiv wegschauen, wenn man das Thema jetzt nicht für sich entdeckt. Aus diesem Grund wollen sich viele Unternehmen für mehr Vereinbarkeit wandeln, um attraktiv zu bleiben. 

In den 13 Jahren, die wir jetzt in dem Bereich arbeiten, wurde immer wieder der Mehrwert für alle offenkundig: Mütter, Väter, Kinder, Unternehmen. Mit den Studien, die wir regelmäßig in Auftrag geben, können wir den Unternehmen wichtige Argumente für einen Kulturwandel bestätigen.  

Familie bedeutet nicht nur, Kinder zu haben. Was ist mit Mitarbeitenden ohne Kinder? 

Richtig, viele Männer und Frauen sind keine Eltern. Sie gehören aber eventuell zu den 20-30% der Mitarbeitenden, die Angehörige pflegen, wenig Wertschätzung erhalten und oft übersehen werden. Das ist besonders bitter für diese Zielgruppe, die Unglaubliches leistet. Ich glaube, Pflege wird das nächste große Thema, der Pflegenotstand ist ja schon da. 80% aller Pflegenden pflegen ihre Angehörigen zu Hause. Ohne externe Unterstützung in Pflegestützpunkten oder in der ambulanten Pflege sieht es düster aus. Entsprechend groß war die Dankbarkeit, als ich kürzlich bei der Sparkasse Bremen ein Pflegenetzwerk initiiert habe. Das ist für die Zukunft mindestens genauso wichtig wie für junge Väter und junge Mütter etwas anzubieten.  

Welche Erfahrungen haben Sie selbst als berufstätiger Vater gemacht? 

Meine Frau und ich wollten eine gleichberechtigte Partnerschaft haben. Daher haben wir von Anfang an die unbezahlte Care-Arbeit und auch die Erwerbsarbeit partnerschaftlich aufgeteilt. Als meine Töchter geboren wurden, gab es kein Elterngeld und nur sehr wenig staatliche Unterstützung. Deshalb brauchten meine Frau und ich beide ein hohes Gehalt. Sie war ein Jahr in Elternzeit, da hatte ich schon eine 4-Tage-Woche, und ich bin ein Jahr in Elternzeit gegangen.  

Es war nicht einfach. Die Person, die rausging, musste genug Geld verdienen, damit sich die Familie finanzieren kann. Große Urlaube waren für uns damals nicht drin, aber das war uns diese paritätische Aufteilung wert und sie hat sich ausgezahlt. Wir haben gleich viel in die Rentenkasse eingezahlt und werden beide nicht in die Rentenarmutsfalle tappen, wie viele Mütter das heute leider prognostiziert bekommen. Unsere Töchter sind paritätisch aufgewachsen und haben zu uns beiden eine sehr gute Verbindung. Auch wenn wir mit unseren guten Gehältern privilegiert waren, bin ich überzeugt, dass viel mehr geht als das, was viele aktuell tun. 

Bei Vereinbarkeit geht es also auch um Geld. 

Absolut. Der Gender Pay Gap von 18% macht deutlich, dass viele Paare zwar ein gleichberechtigtes Familienmodell leben wollen, doch nur 17% dies schaffen, während Frauen weiterhin verstärkt in Teilzeit gehen und die unbezahlte Care-Arbeit übernehmen und 93% der Väter (oft ungewollt) in Vollzeit arbeiten und für das Familieneinkommen zuständig sind. Viele Paare wollen diese schreiende Ungerechtigkeit nicht mehr und zahlen sich teilweise einen Ausgleich. Obwohl wir noch ganz am Anfang sind, gibt es bereits gute Modelle: Es ist viel sinnvoller, wenn beide 30 Stunden arbeiten, als wenn nur einer voll arbeitet. Deshalb plädieren wir nicht für ein Vollzeit-Vollzeit-Modell, sondern für ein partnerschaftliches Teilzeitmodell. 

Formate wie Job-/Topsharing müssen viel stärker angeboten werden. Wir brauchen Vorbilder, die öffentlich erzählen, dass es funktioniert, sogar in Schichtbetrieben. Unternehmen sollten jetzt aktiv und kreativ werden, wenn sie die Mitarbeitenden für morgen nicht nur halten, sondern auch neue Fachkräfte finden wollen. 

Unsere Netzwerke sind unglaublich kreativ. In unseren Vereinbarkeitslabs kommen Mitarbeitende zusammen und entwickeln Ideen, ohne teure Berater:innen von außen. Das halte ich für enorm wirksam und motivierend: Zu sehen, dass ein selbst entwickeltes Konzept im Unternehmen umgesetzt wird, das oft viel passender ist und gleichzeitig eine neue Kultur vorantreibt. In unserem Netzwerk können sich Unternehmen voneinander inspirieren lassen. Alle profitieren von den vielen Ideen und dem Know-how. 

Vielen Dank für das Gespräch! 
 

Literatur

Hammermann, A. & Stettes, O. (2023). Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2023. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. https://www.iwkoeln.de/studien/56.html.  

Wir sprachen mit: 

Volker Baisch ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung conpadres. Der Diplom-Sozialwirt hat 2010 die Väter Pal gGmbH gegründet und unterstützt Unternehmen darin, ihrer Belegschaft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus Sicht der Väter zu erleichtern. Dafür ist er als Sprecher, Autor und Berater unterwegs und bietet Unternehmen mit conpadres ein Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung in Sachen Vereinbarkeit. 

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