Job Crafting als Antwort auf Überqualifikation
Welches Unternehmen wünscht sich nicht sehr gut ausgebildete Arbeitnehmende? Jedoch kann es sich negativ auf die Arbeitsleistung und -motivation auswirken, wenn sich Beschäftigte als zu qualifiziert für ihren Job empfinden. Unternehmen sollten daher negativen Folgen von Überqualifikation vorbeugen und die hohe Qualifikation der Angestellten effektiv nutzen.
Bringen Mitarbeitende hohe Qualifikationen mit, ist dies für Unternehmen zunächst wünschenswert. Es kann jedoch problematisch werden, wenn Angestellte glauben, mehr Ausbildung, Wissen, Erfahrungen, Fähigkeiten oder andere Qualifikationen zu haben, als für ihren Job notwendig sind (Erdogan, Bauer, Peiró & Truxillo, 2011). Laut Statista fühlten sich im Jahr 2019 12 % der Beschäftigten für ihren Job überqualifiziert (Suhr, 2020).
Überqualifikation ist subjektiv
Überqualifikation hängt von der eigenen Wahrnehmung ab und lässt sich nicht allein am Lebenslauf ablesen: Der Ausbildungsgrad gibt nur schwache Hinweise auf eine erlebte Überqualifikation und weder das Alter noch das Geschlecht sind ausschlaggebend (Harari, Manapragada, & Viswesvaran, 2017). Vielmehr fördern repetitive Arbeit (Lobene, Meade, & Pond III, 2015) und eine geringe bisherige Beschäftigungsdauer (Harari et al., 2017) das Gefühl, dass die Arbeitsanforderungen nicht an die eigenen Fähigkeiten heranreichen.
Folgen von Überqualifikation
Auch wenn das überschüssige Potential in proaktivem Verhalten (Zhang, Law & Lin, 2016) oder in Kreativität (Lin, Law & Zhou, 2017) resultieren kann, kommt ein Großteil der Studien zu dem Schluss, dass erlebte Überqualifikation die Arbeitszufriedenheit und das berufliche Engagement senkt, die Suche nach anderen Jobs verstärkt sowie mit kontraproduktivem Verhalten einhergeht (Harari et al., 2017). Zur Erklärung dieser Wirkzusammenhänge werden meist zwei Theorien herangezogen:
- Entsprechend der „Relativen Deprivationstheorie“ (Crosby, 1984) wird vermutet, dass überqualifizierte Mitarbeiter:innen das Gefühl haben, nicht den Job zu haben, den sie verdient hätten. In der Folge empfinden sie auch ihre Bezahlung und soziale Stellung als nicht erwartungsgemäß. Häufige Reaktionen sind Wut und Resignation, was kontraproduktives Verhalten begünstigt.
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Auch die „Person-Job-Fit-Theorie“ nennt die fehlende Passung zwischen den eigenen Merkmalen und jenen der Arbeit als Ursache für Unzufriedenheit, Frustration, Sorgen, ungesundes Verhalten und Langeweile (Andel, Pindek, & Arvan, 2022; Edwards & Van Harrison, 1993).
Langfristige Auswirkungen am Arbeitsplatz
Sollten Unternehmen also auf überqualifizierte Arbeitnehmende verzichten? In der Tat fördern aus Überqualifikation entstehende Demotivation, Wut, Langeweile oder Frustration destruktives Verhalten. Dazu zählt beispielsweise, dass manche überqualifizierte Angestellte laut Deng, Guan, Wu, Erdogan, Bauer und Yao (2018) ein Überlegenheitsgefühl den Kolleg:innen gegenüber zeigen und dadurch die Beziehungen im Team stören. Andererseits können überqualifizierte Arbeitnehmende ein Pluspunkt für Unternehmen sein und zu einem Anstieg der Produktivität beitragen oder den Kolleg:innen als Mentor:innen zur Seite stehen (Erdogan & Bauer, 2021). Das Bild ist demnach nicht eindeutig. Entscheidend für die Folgen von Überqualifikation sind letztlich die Bedingungen am Arbeitsplatz.
Maßnahmen gegen kontraproduktives Verhalten
In einer Studie zeigten Andel et al. (2022), dass sogenanntes Job Crafting, also die Gestaltung und Bewertung der Arbeitsaufgaben, maßgeblich beeinflusst, ob sich Überqualifikation in negativen Emotionen und Verhaltensweisen am Arbeitsplatz niederschlägt. Insgesamt 558 Vollzeitangestellte (70 % weiblich, durchschnittlich 43 Jahre alt) in der Verwaltung einer US-Universität wurden zu drei Zeitpunkten zu ihrer wahrgenommenen Qualifikation und dem Ausmaß an eigens betriebenem Job Crafting befragt. Außerdem wurde ihr Level an Wut, Langeweile, missbräuchlichem Verhalten und Cyberloafing (Nutzung der Arbeits-IT zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit) erhoben.
Die statistischen Befunde unterstreichen den Stellenwert von Job Crafting: Wenn die Arbeitnehmenden ihre Arbeitsaufgaben kognitiv neu bewerteten oder Spielraum erhielten, um individuell zusätzliche Aufgaben zu erledigen und sich somit weiterzuentwickeln, hing Überqualifikation mit weniger Wut, Langeweile, missbräuchlichem Verhalten und Cyberloafing zusammen.
Wie Unternehmen von Überqualifikation profitieren können
Wie können Sie sich die Überqualifikation von Angestellten zunutze machen? Die Studienergebnisse kommen zu folgenden Ansätzen:
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Autonomie und Freiräume schaffen
Autonomie und Empowerment federn den negativen Effekt von Überqualifikation ab (Erdogan & Bauer, 2021). Wenn Sie hochqualifizierten Beschäftigten mehr Autonomie und Job Crafting ermöglichen, steigt deren Selbstwirksamkeit und das Empfinden, Aufgaben jenseits ihrer Jobbeschreibung erledigen zu können. Der wahrgenommene Abstand zwischen Qualifikation und Anforderungen wird dadurch kleiner (Erdogan & Bauer, 2021).
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Maßgeschneiderte Interventionen
Aufgrund der unterschiedlichen emotionalen Auslöser für kontraproduktives Verhalten überqualifizierter Mitarbeiter:innen gibt es kein Patentrezept, sondern Sie sollten die Ursache des problematischen Verhaltens identifizieren: Wollen Sie etwa unkollegiales Verhalten unterbinden, könnten sich Interventionen zur Reduktion von Wut auszahlen (z. B. Achtsamkeitsübungen). Stellen Sie hingegen Cyberloafing fest, sollten Sie Job Crafting fördern, um die Langeweile der Betroffenen zu reduzieren (Andel et al., 2022).
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Anerkennung
Ein ebenfalls bedeutsamer Aspekt ist die Anerkennung für geleistete Arbeit. Erhalten Beschäftigte unmittelbar Bestätigung und Lob für ihre Leistungen, werden Unzufriedenheit und destruktives Verhalten am Arbeitsplatz weniger wahrscheinlich (Erdogan & Bauer, 2021).
Überqualifizierte Arbeitskräfte sind folglich nicht automatisch ein Problem für Unternehmen. Das hohe Potential kann sich für Sie sogar positiv auswirken, solange Sie den überqualifizierten Mitarbeiter:innen mit Anerkennung und dem Zugeständnis von Autonomie begegnen.
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