„Empathie hat messbare wirtschaftliche Vorteile“

In vielen Wissenschaften und Anwendungsbereichen spielt Empathie seit Langem eine wichtige Rolle. Neuerdings beschäftigen sich auch Unternehmen vermehrt mit diesem Thema. Doch was kann Empathie in der Wirtschaft bewirken? Wie wichtig ist Einfühlungsvermögen für Führungskräfte? Ein Gespräch mit Waldemar Pelz, Professor für Internationales Management und Marketing.

Herr Pelz, was hat zu dem Hype um das Thema Empathie in der Wirtschaft und der Wirtschaftspsychologie geführt?

Dahinter steckt ein massives Problem: Firmen suchen händeringend nach Fach- und Führungskräften. Derzeit trifft abnehmendes Potenzial an Talenten auf wachsenden Bedarf und höheren Anspruch an Führungskräfte. Das führt zu wachsendem Stress und macht Führungsaufgaben für viele junge Menschen unattraktiv.

Zudem sind Führungskräfte meist fachlich extrem gut, aber oft wenig empathisch. Nicht zuletzt deshalb haben einige Elite-Universitäten wie Harvard und Stanford sowie Firmen wie Microsoft, Tesla und Berater wie McKinsey das Thema Empathie in ihre Managementprogramme aufgenommen.

Über welche Form von Empathie reden wir da: emotionale, mentale, soziale oder kognitive?

Kognitive und soziale Empathie bauen auf der emotionalen Empathie auf. Letztere bezeichnet die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer Menschen hineinzuversetzen, während kognitive und soziale Empathie die Fähigkeit ist, einzuschätzen, wie sich einzelne Menschen oder ganze Gruppen verhalten werden, wenn sie von bestimmten Gefühlen betroffen sind. Soziale Empathie ist besonders wichtig, weil wir im Berufsleben die meiste Zeit in Gruppen oder Teams verbringen – angefangen von Sitzungen über Projektteams bis hin zu informellen Netzwerken. Wer das Verhalten dieser sozialen Systeme nicht versteht, hat einen klaren Nachteil.

Eine zentrale Frage bei der kognitiven Empathie ist: Welche Gefühle werde ich bei anderen Menschen auslösen, und wie werden sie sich anschließend verhalten? Und umgekehrt: Welche Gefühle und Reaktionen löst das Verhalten anderer Menschen bei mir aus?

In einem Team gelten die Prinzipien der Gruppendynamik. Laut Daniel Goleman, der den Begriff „emotionale Intelligenz“ populär gemacht hat, ist eine Gruppe wie ein Kessel brodelnder Emotionen. Manche Menschen verstehen gar nicht, was in der Gruppe vor sich geht und warum sich einige Mitglieder plötzlich völlig anders verhalten als sonst. Ihnen fehlt es an sozialer Empathie. Ihr Nichtverstehen erwächst aus der Blindheit für Gruppenprozesse mit Machtbeziehungen, Sympathien, Stimmungsschwankungen oder Aggressionen.

Rangieren bei der Führungskräfteauswahl Wissen, Erfahrung oder Innovationsvermögen als Kriterium nicht meist vor der Empathie?

Wissen und Erfahrung werden i. d. R. als selbstverständlich vorausgesetzt. Diese Fähigkeiten kann man durch Übung und Praxis relativ einfach erlernen. Schwieriger ist es bei Persönlichkeitsmerkmalen (Charaktereigenschaften) und Werten. Diese sind entweder angeboren oder in der frühen Kindheit geprägt und daher gar nicht oder nur schwer veränderbar. Aus diesem Grund achten die erfolgreichsten Unternehmen bei der Auswahl von Potenzialträger:innen vorwiegend auf Persönlichkeitsmerkmale und Werte und rücken ab von den verbreiteten „Kompetenzmodellen“, die sich in der Praxis nicht bewährt haben. Beispielsweise schätzen neuere Zwillingsstudien den Anteil der Gene an Führungspersönlichkeiten auf 30 - 60 %.

Im Falle der Empathie gibt es noch keine belastbaren Studien zum Ausmaß ihrer Vererbbarkeit oder Erlernbarkeit. Zur Lösung dieses Problems sind validierte Testverfahren notwendig, die beides vor und nach Interventionen messen. Grundsätzlich sollte man bei der Auswahl von Kandidat:innen stärker auf Persönlichkeitsmerkmale und bei der Entwicklung dieser Kandidat:innen auf Kompetenzen achten. Dabei gilt stets der bewährte Grundsatz der Führungskräfteentwicklung, dass ein Gramm Auswahl mehr wiegt als ein Kilogramm Schulung.

Porträtfoto von Prof. Dr. Waldemar Pelz

Im Gespräch mit Prof. Dr. Waldemar Pelz (Foto: privat)

Sind Tests für Empathie trotzdem sinnvoll?

Wie bei allen diagnostischen Methoden kommt es bei Empathie-Tests auf die Validierung an. Ein solcher Test muss also die üblichen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität und Normierung) erfüllen. Sonst kann man damit viel Schaden anrichten.

Als Beispiel aus der Praxis nehmen wir aufstrebende Manager: Sie haben überzeugende Erfolge in der Kundenberatung und im Vertrieb nachzuweisen und sehen ihre besonders große Empathie durch  einen nicht validierten Test vermeintlich bestätigt. Dieser misst aber lediglich die kognitive Empathie und basiert auf einer naiven „Theorie“ aus dem Internet, die Empathie mit Mitgefühl verwechselt. Bei der Übernahme von Führungsaufgaben war den Managern nicht bewusst, dass es dabei auf emotionale und soziale Empathie ankommt, um in einer komplexen interkulturellen Matrixorganisation erfolgreich zu agieren. Folglich war das Scheitern vorprogrammiert – ohne zu wissen, was die eigentliche Ursache war.

Lohnt sich ein Empathietraining?

Ein Empathietraining soll die empathischen Fähigkeiten verbessern. Dazu muss zunächst geklärt werden, welche dieser Fähigkeiten für den Kandidaten relevant sind und wie stark sie im Vergleich zu anderen Personen ausgeprägt sind. Pflegedienstleitende benötigen völlig andere Stärken als Vertriebsleitende, Geschäftsführende, Ärzt:innen oder Coaches.

Ferner sind Vergleichsdaten notwendig. Wenn ein Krankenpflegeteam einen Wert von 3,7 auf einer Skala von 1 bis 5 erzielt, stellt sich die Frage, ob das „gut“ oder zu niedrig ist. Ähnlich ist es zum Beispiel bei einer Vertriebsmannschaft. Wenn diese bei der kognitiven Empathie einen Wert von 3,4 erzielt und die Konkurrenz darunter liegt, kann dieser Wert auf einen Wettbewerbsvorteil hindeuten. Diese Überlegungen machen deutlich, dass ein Empathietraining nur nach einer zuverlässigen Diagnose der individuellen Stärken und Schwächen mit einem validierten Testverfahren sinnvoll ist. Dies kann man mit einer medizinischen Diagnose und Therapie vergleichen. Ohne valide Diagnose können Maßnahmen (Interventionen) zur Verbesserung der Empathie lediglich Zufallstreffer sein. Leider dominieren in der Praxis und im Internet nicht validierte „Ratgeber“ und „Säulen“ der Empathie, die wie ein Horoskop bestenfalls  unterhaltsam, aber nutzlos sind.

Was steckt hinter Ihrer Ermunterung zu einem Selbsttest, den bereits mehr als 20.000 Menschen absolviert haben?

Ich möchte möglichst viel über dieses spannende Thema lernen. Dank einer großen Stichprobe kann ich verschiedene Zusammenhänge empirisch überprüfen, z. B. den Zusammenhang von Empathie und Führungskompetenzen, Lebenszufriedenheit, Durchhaltevermögen, Begeisterung oder Resilienz. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, repräsentative Stichproben für bestimmte Zielgruppen zu ziehen. Die Partner unseres Instituts wollen i. d. R. Vergleichsdaten für die Auswahl und gezielte Entwicklung ihrer Nachwuchskräfte. Die hohen Kosten der Führungskräfteentwicklung erfordern effiziente (validierte) Methoden der Diagnose und Entwicklung dieser Zielgruppen. Dies ist eine typische Win-Win-Situation.

Zeigt die Auswertung Unterschiede zwischen Geschlechtern und Kulturen?

Frauen sind etwas stärker bei der emotionalen Empathie und Männer bei der sozialen. Diese Unterschiede sind aber weder statistisch noch empirisch signifikant. Kulturelle Unterschiede gibt es dagegen viele. In der chinesischen Kultur z. B. sind persönliche, vertrauensvolle Beziehungen besonders wichtig. Diese werden gepflegt beim gemeinsamen Essen, das selten unter vier Stunden dauert. Das muss man auch bei der Vorbereitung auf eine Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern einplanen. Sobald eine Vertrauensbasis entstanden ist, läuft die Zusammenarbeit reibungslos und bereitet viel Freude. Auch Konflikte werden beim Essen gelöst.

Führungskräfte haben oft wenig Zeit. Wie überzeugen Sie sie davon, dass Empathie wichtig ist?

Laut Empirie erzielen Unternehmen mit einer überdurchschnittlichen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit Renditen und Wachstumsraten, die drei- bis viermal höher sind als die ihrer Konkurrenz. Ohne Empathie für die Gedanken, Gefühle, Motive, Ängste und Hoffnungen anderer Menschen ist es praktisch nicht möglich, diese Zufriedenheit herzustellen.

Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sind Beispiele für messbare Frühindikatoren des wirtschaftlichen Erfolges. Das gilt auch für andere Bereiche: Ohne Empathie kann ein:e Fußballtrainer:in aus selbstbewussten, erfolgreichen Individualist:innen keine Mannschaft mit Teamgeist formen. Und laut einer Studie der Lufthansa leistet ein positives Arbeitsklima im Cockpit den größten Beitrag zur Flugsicherheit.

Ein Beispiel für soziale Empathie bringt der Geschäftsführer eines Mittelständischen Weltmarkführers mit folgenden Worten auf den Punkt: „Wir arbeiten an Lösungen für Probleme unserer Kunden, die ihnen noch gar nicht bewusst sind.“ Das ist nur mit Empathie möglich. Und Satja Nadella, Chef von Microsoft, meint: „The source of all innovation is the most humane quality we all possess: empathy“. Dies ist ein wesentlicher Grund für die gezielte Implementierung der Empathie in der Führungskräfteentwicklung von Microsoft. Viele Unternehmen sind diesem Beispiel bereits gefolgt und andere sind auf dem Sprung.

Das Gespräch führte Christa Schaffmann.

 

Wir sprachen mit:

Prof. Dr. Waldemar Pelz ist Dekan des Fachbereichs Leadership an der Global Humanistic University. Zuvor war er Professor für Internationales Management an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen und ist zurzeit geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Management-Innovation. Insgesamt verfügt Herr Pelz zudem über 15 Jahre Praxiserfahrung u. a. als Unternehmer (Familienbetrieb), im internationalen Marketing und Vertrieb sowie zuletzt als Leiter der Führungskräfteentwicklung eines globalen Chemie- und Pharmaunternehmens.

Zum Weiterlesen:

Aktuelle Forschungserkenntnisse zum Thema „Empathie“ stellt Herr Pelz in einer Rubrik seiner Webseite ein.

Podcast-Folge der Kalaidos Fachhochschule Schweiz zum Thema „Empathie in der Führung“.

Empathie-Test