Retreats: Wenn Führungskräfte in ihr Herz kommen
Bei Retreats denken viele an Yoga und Spiritualität. Doch auch für das Coaching von Führungskräften kann das Format hilfreich sein. Dominique Klein, Ex-Basketballprofi und Psychologe, berichtet im Interview, wie er und sein Team Führungskräfte in Retreats bei der Lösung ihrer Probleme unterstützen und warum es Achtsamkeit und Mitgefühl braucht, um gesundes wirtschaftliches Wachstum und nachhaltige Leistung im Unternehmen zu fördern.
Dominique, wie bist du vom Profi-Basketball zum Führungskräfte-Coaching gekommen?
Während meiner Collegezeit in den USA habe ich Basketball gespielt. Um auch nach meiner Basketballkarriere eine Perspektive zu haben, studierte ich später Psychologie. Ich wollte Menschen unterstützen.
Dass sich viele trotz allen Ressourcen und Technologien getrieben fühlen und Krisen ins Gesicht blicken, zeigt, dass wir eine neue Führungskultur brauchen. In unserer modernen Welt fehlt es häufig an Achtsamkeit und Mitgefühl. Viele Führungskräfte setzen Ziele nicht achtsam und haben kein Auge für ihre Mitarbeitenden. Auch geht es Führungskräften oft zu sehr um ihr Ego oder wirtschaftliche Ziele anstatt um gemeinsames Handeln, Unternehmenskultur, Nachhaltigkeit und psychologische Sicherheit. Mit dem Ziel, das zu verändern, habe ich mich zum Coach weitergebildet und begonnen, mit High Performern, also Spitzensportler:innen, Manager:innen, Führungskräften, zu arbeiten.
Was bedeuten Achtsamkeit und Mitgefühl im Führungskontext?
Achtsamkeit heißt Verantwortungsbewusstsein: Führungskräfte tragen Verantwortung für viele Menschen, nicht nur auf Gehalts- oder Aufgabenebene, sondern auch im Sinne von vermittelten Werten. Wenn die Führungsetage nur ego- und profitgetrieben ist, dann sind Ellbogen, Überstunden und Karriere der Hauptwert der Unternehmenskultur. Eine Unternehmenskultur der Arbeitszufriedenheit und intrinsischen Motivation entsteht aber nur, wenn alle Mitarbeitenden mit ihren individuellen Bedürfnissen abgeholt werden. Dafür muss sich eine Führungskraft ihrer eigenen emotionalen Prozesse, Trigger, Traumata und Macken bewusst sein. Erst dann kann der Aufbau einer gesunden, achtsamen Unternehmenskultur beginnen.
Du hast mit deinem Team den Ellernhof gegründet, einen Tagungsort im grünen Niedersachsen. Welche Menschen nehmen an den dort stattfindenden Führungskräfteretreats teil?
Viele kommen mit Burnout und wissen nicht mehr weiter. Andere sind wirtschaftlich enorm erfolgreich, aber finden keine Entspannung oder Freude. Und wieder andere ecken ständig an, weil sie nicht wissen, wie man zusammenarbeitet, was zu Spannungen führt. Solche Probleme können in allen Berufsfeldern und Altersgruppen auftauchen. Wir erlernen Resilienz und Selbstfürsorge eben nicht in der Schule oder im Studium und sind doch irgendwann damit konfrontiert.
In allen Fällen schauen wir nach den Ursachen und stellen die Frage nach der Balance: Hast du Zeit für deine Selbstfürsorge, kümmerst du dich um deine Familie? Findest du Zeit für Dinge, die dir Spaß machen? Wie hältst du Körper und Geist, Herz und Seele im Gleichgewicht? In den Retreats besprechen wir solche Fragen in Einzelsitzungen, Kleingruppen und Teachings für die Gesamtgruppe.
Warum ist das Format „Retreat“ für Führungskräftecoachings hilfreich?
Der Ellernhof ist ein Ort, dessen abgeschiedene Idylle das Finden von Stille erleichtert. Stille findet sich bei Baulärm auf der Straße nämlich nicht so leicht. Sobald man jedoch zum Ellernhof kommt, wird man ruhiger. Wir haben keine lauten Straßen, keine lauten Autos und während der Retreats nicht einmal andere Gäste. Es gibt kaum Ablenkung von inneren Empfindungen und Ängsten. Die Ruhe des Ellernhofs lädt dich ein, wirklich hinzuschauen und neben der Stille Inspiration und Wachstum zu finden.
Denn auch Meditation ist eine Komponente des Coachings. Dabei geht es um das Erlernen von Stille trotz der ständigen Überstimulierung unserer Gegenwart. Wir laden dazu ein, sich in Stille hinzusetzen. Was passiert, wenn du 20 Minuten lang nichts tust? Gelingt es dir, welche Gedanken kommen? Wer das regelmäßig tut, wird große Veränderungen feststellen.
Wie laufen die Retreats ab?
Die Retreats haben unterschiedliche Schwerpunkte, aktuell z. B. „die Rückkehr zum inneren Kind“. In diesem Format setzen wir die Brille des inneren Kindes auf, aber das ist austauschbar. An erster Stelle steht immer eine klassische Standort- und Problemanalyse: Was sind aktuelle Schwierigkeiten? Bekommst du z. B. schlechtes Feedback, kannst du nicht schlafen, erreichst du deine Ziele nicht?
Danach schauen wir: Welcher Teil von dem Problem liegt bei dir? Wenn du deine Haltung ändern könntest, würde sich das Problem auflösen? Wir versuchen die Teilnehmenden für alternative Perspektiven zu öffnen. Diese müssen nicht immer richtig sein, aber es ist sinnvoll, sich in Perspektivwechseln zu üben. Das führt bei den meisten zu den ersten Klick-Momenten, weil sie merken, dass die Welt anders sein kann, als sie dachten.
Aus dem Perspektivwechsel leiten sich die Handlungsempfehlungen ab: Wenn das der Status Quo ist und dies der Wunschzustand, wie erreichst du den? Ein Schlüssel ist Wertschätzung. Kannst du dankbar sein für deine Verantwortung und deinen Einfluss? Wie kannst du das zeigen? Durch echte Wertschätzung für Mitarbeitende wird automatisch ein anderes Miteinander etabliert.
Solch ein Prozess braucht Zeit, denn nachhaltig sind Veränderungen nur, wenn Führungskräfte in ihr Herz kommen. Natürlich sollen sie weiterhin performen, aber die Motivation dahinter sollte gewinnbringend für das ganze Unternehmen sein. Dabei begleiten wir die Führungskräfte auf allen Ebenen, auch über Abteilungsstrukturierung, Budgetplanung oder Code of Conduct sprechen wir. Nach ein bis zwei Jahren kann ein Unternehmen einen Einklang von Führungs-, Mitarbeitenden- und sozialer Ebene erreicht haben.
Wie gelingt der Transfer des Gelernten in die Praxis?
In unserem Netzwerk motivieren wir Führungskräfte dazu, ihren Einfluss zu nutzen, um sich zu vernetzen und gemeinsam positive Veränderungen zu realisieren. Immer mehr Führungskräfte möchten auch zu einem Wandel über ihr Unternehmen hinaus beitragen und als Multiplikator:innen wirken.
Außerdem brauchen Führungskräfte eine Umgebung, in der Veränderungen möglich sind. Gute Führungskräfte müssen wirklich Lust und Motivation haben, Führungsverantwortung zu übernehmen. Dafür kann man Menschen nicht mehr mit Firmenwagen oder Top-Gehältern locken. Vielmehr müssen Unternehmen sich offen zeigen für Veränderungen und neue Werte, die nicht mehr nur an monetärem Profit ausgerichtet sind. Wenn auch emotional-intuitive Führungsstile Raum bekommen, ziehen Unternehmen eine neue Kultur an, die wieder Lust und Sinn in die Arbeit bringen kann.
Inwiefern trägt eure im September gelaunchte App „Mindful Tribe“ dazu bei?
Die App soll die breite Masse erreichen und so eine achtsame Gesellschaft fördern. In der App haben wir unsere gesammelte Erfahrung zu einem klaren Curriculum mit wöchentlichem Input gebündelt. Man meldet sich für eine monatliche Mitgliedschaft an und wird so lange von uns begleitet, wie man es möchte.
Außerdem bietet die App eine Plattform für Vernetzung und Austausch. Auch können Teilnehmende kommentieren, wenn ihnen Themen fehlen. Wir wollen keine Gurus sein, die alles diktieren. Der Tribe entscheidet selbst und profitiert von den gebündelten Erfahrungen, die durch den Austausch sichtbar werden. So soll eine Community entstehen, in der man voneinander lernt.
Wie weit sind Führungskräfte in Sachen Achtsamkeit und Persönlichkeitsentwicklung?
Das Bewusstsein für Achtsamkeit und Mitgefühl ist mittlerweile in vielen Bereichen der Gesellschaft verankert. Das war vor 20 Jahren noch undenkbar. Unternehmen und Führungskräfte zeigen mehr Bewusstsein und investieren mehr Budget in Coaching, um zu lernen, wie sie Performance neu begreifen und erzielen können.
Wo noch Luft nach oben ist, ist bei der Bereitschaft, eigenverantwortlich den „unbequemen Weg“ zu gehen und schnelles Wachstum zugunsten einer anderen Art von Führungs- und Unternehmenskultur hintenanzustellen. Wenn wir hier weiterkommen, werden wir eine effektivere und gesündere Arbeitskultur erreichen können, von der Führungskräfte und Angestellte gleichermaßen profitieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wir sprachen mit:
Dominique Klein war erst Basketballprofi und hat später Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert. Er besitzt einen Master-Abschluss in Friedens- und Sicherheitspolitik und begleitet heute als Coach, Berater und Unternehmer Führungskräfte und andere Menschen bei ihren individuellen Anliegen. 2019 hat Dominique seine Beratungsagentur Wolf & Adler gegründet und 2021 den Ellernhof als Tagungshotel übernommen.