Psychologisch sicher, mental gesund

Immer mehr Beschäftigte fühlen sich erschöpft und melden sich arbeitsunfähig. Die Suche nach Konzepten, welche die mentale Gesundheit von Menschen stärken, führt auch zur psychologischen Sicherheit. Die Annahme: Wer in einem starken, vertrauensvollen Umfeld arbeitet, hat weniger Angst. Nicht nur vor Sanktionen, sondern auch vor Veränderungen und der Zukunft insgesamt.

Die Kurve der beruflichen Fehlzeiten zeigt steil nach oben. Immer mehr Beschäftigte fühlen sich erschöpft und überfordert und melden sich krank. In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl an Fehltagen wegen psychischer Erkrankungen laut dem AOK-Fehlzeitenreport von 2023 um 48 Prozent gestiegen. Gerade psychische Erkrankungen führen zu längerer Arbeitsunfähigkeit. Oft gehen die Belastungen mit Veränderungen und Verunsicherungen am Arbeitsplatz einher. Wer die Zukunftsfähigkeit seines Betriebs schlecht beurteilt, fehlt erkrankungsbedingt besonders lange. Auch die Komplexität der Aufgaben, die Menge der zu verarbeitenden Informationen, Ablenkungen und Unterbrechungen sind Faktoren. Doch wie können Beschäftigte resilienter gegenüber zunehmenden Herausforderungen und Belastungen werden?

Idealbild der angstfreien Organisation

In diesem Zusammenhang rückt das Konzept der psychologischen Sicherheit in den Fokus. Der Begriff ist während der Pandemie nahezu ein Buzzword geworden. Im ursprünglichen Sinne lässt er sich als eine Grundlage für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz nutzen. Denn, so meine Erfahrung: Wer von einer Kultur umgeben ist, in der Menschen angstfrei sprechen und handeln dürfen, fühlt sich sicherer und somit widerstandsfähiger.

Eingeführt wurde der Begriff der psychologischen Sicherheit bereits in den 1990er-Jahren durch die Harvard-Professorin Amy Edmondson (1999). Sie untersuchte entscheidende Faktoren für den Erfolg von Teams. Es kam heraus, dass es nicht um die Kompetenz der Einzelnen, die Zusammensetzung des Teams, die Rollenverteilung oder das Gehalt geht, sondern darum, wie sicher sich die Teammitglieder zusammen fühlen. Mitglieder, die davon überzeugt sind, in einem Umfeld zu arbeiten, dass vor zwischenmenschlichen Risiken wie Verurteilung oder Ausgrenzung sicher ist, performen besser. Sie trauen sich, Informationen weiterzugeben, Ideen einzubringen, ihre Meinung zu teilen, zu hinterfragen, zu kritisieren, zu widersprechen und Fehler zuzugeben. Und zwar auch gegenüber Menschen, die in der Hierarchie über ihnen stehen. Dadurch wachsen sie. Voraussetzungen für psychologische Sicherheit sind, dass es kein ausgeprägtes autoritäres Denken gibt und keine negativen Konsequenzen drohen, wenn sich Menschen beteiligen.

Sicher ist nicht gleich sicher

Es geht also um ein unterstützendes Klima, in dem sich Teams offen und gleichberechtigt austauschen können. Wie stark die psychologische Sicherheit im Team ausgeprägt ist, finden Sie durch aufmerksames Beobachten schnell heraus: Wie ist der Redeanteil im Teammeeting verteilt? Werden unterschiedliche Perspektiven eingebracht und kontrovers diskutiert? Wird aktiv (kritisches) Feedback eingeholt und offen über Fehler gesprochen? Trauen sich Teammitglieder, um Hilfe zu bitten? Wird Arbeit als Lernerfahrung definiert?

Doch es geht noch weiter. Auch in einer Organisation mit einer sehr starken und positiven Kultur, kann die psychologische Sicherheit zwischen Teams deutlich variieren. Das hat Google 2012 in der internen Aristotle-Studie herausgefunden. Das Unternehmen stellte die psychologische Sicherheit als den Faktor heraus, der Leistungsunterschiede zwischen Teams am besten erklären konnte. Mitarbeitende müssen demnach das Gefühl haben, zu einem Team zu gehören, das Risiken von einzelnen Mitgliedern mitträgt: „It is safe to take a risk on this team“. Damit beschreibt das Konzept eine Gruppennorm, die über den Einfluss einer vertrauensvollen Umgebung auf den Teamerfolg hinausgeht.

Psychologische Sicherheit erhöht in erster Linie die Produktivität und Innovationskraft von Teams, vor allem bei komplexen Arbeitsaufgaben, die Kreativität und Sinnstiftung erfordern. Menschen in einem psychologisch sicheren Umfeld sind zudem engagierter, lernfähiger, zufriedener und resilienter, und sie zeigen ein besonders positives (Sozial-)Verhalten, auch bei Konflikten. Durch das starke Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht außerdem eine hohe Identifikation mit dem Team, was wiederum mit der Loyalität zum Unternehmen zusammenhängt. Gerade im Kontext von New Work und agilem Arbeiten wird die psychologische Sicherheit zu einem Schlüsselkonzept.

Das Konzept der psychologischen Sicherheit übertragen

Die positiven Auswirkungen psychologischer Sicherheit sollten Unternehmen zur Stärkung der mentalen Gesundheit ihrer Beschäftigten nutzen. Ich bin überzeugt: In einer angstfreien Organisation gehen Menschen auch mit Stress, Veränderung und Zukunftssorgen besser um. Bei ihnen werden für Resilienz typische Schutzfaktoren wie Reflexion, Mut und Kreativität besonders ausgeprägt, wodurch sie sich in schwierigen Situationen nicht als Opfer, sondern handlungsfähig fühlen.

Die Führungskraft in ihrer Vorbildfunktion hat dabei eine Schlüsselrolle: Ihr Verhalten beeinflusst die wahrgenommene psychologische Sicherheit sehr, da sich Teammitglieder unter anderem an diesem Verhalten orientieren. Führen Vorgesetzte offen, empathisch, wertschätzend und auf Augenhöhe, vertrauen Mitarbeitende ihnen nicht nur ihre Ideen und Meinungen, sondern auch ihre Sorgen an. Ohne Scham oder Versagensangst über Erschöpfung und Verunsicherung zu reden, kann helfen, psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen, angemessen mit ihnen umzugehen, sie zu reduzieren und so psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Ohne dass es einer Krankschreibung bedarf. Doch wie lässt sich ein psychologisch sicheres Umfeld kreieren?

Coachings und Trainings on the job

Analog zur Entwicklung hin zu einer angstfreien Organisation wandelt sich die Rolle der Führungskraft hin zum Coach oder einem „Servant Leader“, wie Amy Edmondson es nennt. Das Wertvolle an dieser Rolle sind die systemische Haltung und ihr positives Menschenbild. Coaches gehen davon aus, dass jede:r ein Bedürfnis nach konstruktiver Veränderung und Weiterentwicklung hat und die Ressourcen für Lösungen bereits in sich trägt. Wer so denkt, agiert automatisch achtsamer, sensibler und fürsorgender und führt dadurch transformational statt destruktiv.

Um mit dieser neuen Rolle vertraut zu werden, empfehlen sich ganzheitliche achtsamkeitsbasierte Führungskräftetrainings, in denen arbeitsalltagstaugliche Strategien zur Stressreduktion und einen achtsamen Umgang mit sich selbst und anderen erlernt werden. Vor-Ort-Trainings verbessern – anders als reine Trainings per App – signifikant das Führungsverhalten und senken das Stress- und Angstniveau, was sich sehr positiv auf Mitarbeitende auswirkt. Um die Rolle zu festigen, sollten regelmäßig externe Coaches und Supervisor:innen hinzugezogen werden. Gerade durch die Supervision können sich Führungskräfte selbst reflektieren und das Verständnis für ihr Verhalten erweitern.

Neben den achtsamkeitsbasierten Trainings- und Coaching-Ansätzen eignen sich spezielle Schulungsprogramme für alle, um einen gesunden Umgang mit permanenter Veränderung sowie das Selbstwirksamkeitsempfinden zu fördern. Das Fundament solcher Maßnahmen ist häufig die Arbeit mit Werten und die Ausrichtung auf die Sinnhaftigkeit der Veränderung, den Einfluss und Wirkungskreis jeder einzelnen Person und die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls durch die gemeinsame Erarbeitung von Transformationsvisionen.

In unseren Transformationscoachings sollen Organisationen herausfinden, was ihre Werte und Ziele sind und was sie brauchen, um Ziele zu erreichen. Die erarbeitete Vision wird Top-down von der Geschäftsleitung auf die unterschiedlichen Führungsebenen und dann auf die einzelnen Teams ausgerollt. So werden bei der gemeinsamen Arbeit an Zielbildern und Transformationsstrategien alle einbezogen. Wir achten stets auf die psychologische Sicherheit, das Kompetenzgefühl im Team, einen achtsamen Umgang miteinander durch eine achtsame Kommunikation und ein wohlwollendes Mindset. Anschließend erfolgt die Implementierung ins Unternehmen. Hinzugeholte Kommunikationsexpert:innen helfen bei der Gestaltung der Kommunikation rund um die Transformation und bilden für den nachhaltigen Erfolg Multiplikator:innen/Botschafter:innen aus.

Fazit

Der Stress, den viele Menschen am Arbeitsplatz täglich spüren, führt zu einer starken psychischen Belastung. Die wiederum ist immer häufiger der Grund für lange Fehlzeiten. Deshalb gewinnen Prävention und die Förderung der psychischen Gesundheit in Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Das Konzept der psychologischen Sicherheit und ein achtsamer Führungsstil können dabei einen sinnvollen Beitrag leisten.

Literatur

Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teamsAdministrative science quarterly, 44(2), 350-383.

What Google Learned From Its Quest to Build the Perfect Team, The New York Times Magazine, 2016.

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